Freitag, den 27. Juni 2008, 20 Uhr, Paradox, Bernhardstr. 12, 28203 Bremen
mit Michael Heinrich
„Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ (Franz Müntefering, SPD)
Als vor einigen Jahren US-amerikanische Hedge Fonds verschiedene deutsche Unternehmen übernehmen wollten, um sie nach erfolgreicher Umstrukturierung inklusive Entlassungen mit Gewinn weiterzuverkaufen, erregte dies massive Empörung. Die Assoziation dieser Investmentfonds mit Heuschreckenschwärmen durch den damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering genießt seitdem große Popularität. In einem solchen diffusen Antikapitalismus manifestiert sich die Vorstellung eines Gegensatzes von einer stabilen und verantwortungsvollen Marktwirtschaft und einem krisenhaften und skrupellosen „Raubtierkapitalismus“ in Gestalt von Banken und Börsenspekulant_innen. Kritiker_innen dieses Vergleichs monieren aber, daß alle Finanzinvestitionen und –spekulationen nach den gleichen Prinzipien der Konkurrenz und des Zwangs zur Kapitalakkumulation funktionieren, wie sie auch in der Produktionssphäre gelten. Außerdem zeichne sich die kapitalistische Ökonomie eben als Ensemble von Produktions- und Zirkulationssphäre aus. Ressentiments, wie sie sich in der Heuschreckenmetapher artikulieren, basieren meist auf einer geringen Kenntnis von Finanzmärkten und –institutionen. Die Veranstaltung soll daher vor allem eine Einführung in die Funktionen von Banken und Börsen sowie die Logiken von Kreditwesen und Finanztransaktionen geben und diese auf marxsche Kategorien zurückführen. Mit Bezug auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie läßt sich zeigen, daß die Zirkulationssphäre denselben Gesetzen unterworfen ist wie die Produktionssphäre. Wie der Börsenmakler auf die Kurse seiner Aktien spekuliert, so spekuliert auch der Produzent von Waren auf ihren erfolgreichen Verkauf. Beide sind „bei Strafe ihres Untergangs“ (Marx) zur Spekulation auf künftige Gewinne verpflichtet, wollen sie in der Konkurrenz bestehen. Nach diesem einführenden Part sollen abschließend zwei weitere Themen behandelt werden: der Zusammenhang von Antisemitismus und einer personalisierenden Kritik des Finanzkapitals sowie die Diskussion um eine Besteuerung von Finanzspekulationen. Ausgehend von einem ökonomiekritischen Verständnis lassen sich Dämonisierungen des Finanzkapitals aufgrund ihrer Nähe zum nationalsozialistischen Vokabular vom guten „schaffenden“ und bösen „raffenden“ Kapital als strukturell antisemitisch kritisieren. Des weiteren soll die Frage erörtert werden, inwiefern eine staatliche Regulation von Finanzspekulationen – wie sie der globalisierungskritischen Initiative attac vorschwebt – negative Aspekte kapitalistischer Verhältnisse wie beispielsweise Krisen abschwächen bzw. aufheben könnte oder ob dies eher idealistisches Wunschdenken ist.
Michael Heinrich ist Politikwissenschaftler und Mathematiker und lebt in Berlin. Er ist Redakteur der Zeitschrift PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft und Autor der Bücher: Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Münster 1999; Die Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Stuttgart 2004; Wie das Marxsche Kapital lesen? Stuttgart 2008.
Eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Initiative in Kooperation mit associazione delle talpe.