Als Reaktion auf Pogrome im zaristischen Russland und andauernde antisemitische Ressentiments und Diskriminierungen in vielen europäischen Staaten entstand Ende des 19. Jahrhunderts die zionistische Bewegung. Angesichts der gesellschaftlichen Ignoranz (auch liberaler und linker Parteien) gegenüber Antisemitismus und später vor allem aufgrund der ausbleibenden Hilfe vor der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden erhofften sich die Zionist_innen in einer Welt voller Nationalstaaten eine unabhängige Zukunft in einem jüdischen Staat.
Doch während die Linke prinzipiell nationale Unabhängigkeitsbewegungen mit der Leninschen Parole vom Selbstbestimmungsrecht der Völker unterstützte, stieß der Zionismus von Anfang an weitestgehend auf Skepsis und Ablehnung. Hatte die frühe linke Kritik des jüdischen Nationalismus noch eine weltrevolutionäre Perspektive einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft, so wandelte sie sich unter Stalin bald zu einem ordinären Antisemitismus. Trotz aller Rivalitäten und Kontroversen waren sich die traditionelle Linke und die undogmatische Neue Linke in ihrer Kritik an Israel als „Juden unter den Staaten“ meist einig. Besonders seit dem Sechstagekrieg 1967 galt die antiimperialistische Solidarität und Revolutionsromantik dem nationalen Widerstand der Palästinenser_innen. Dass diese Palästinasolidarität auch aktuell bei vielen Linken immer noch salonfähig ist, zeigt die Renaissance von Antiimperialismus und Antizionismus nach den Anschlägen vom 11. September und dem War on Terror sowie den jüngsten Kriegen zwischen Israel und Hisbollah bzw. Hamas. Und nicht zuletzt die Verharmlosung und fehlende bzw. folgenlose Distanzierung bezüglich der Holocaustleugnung und permanenten Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel durch das iranische Regime erfordern stets wieder eine konsequente antifaschistische Kritik des Antizionismus.
Das Tagesseminar gibt eine Einführung in die Geschichte des Zionismus und Antizionismus in der sozialistischen und kommunistischen Linken. Anhand von Textquellen werden dabei die Entstehung, historische Veränderungen und aktuellen Formen des Antizionismus diskutiert. Ebenso werden das Verhältnis von Antizionismus zu Antisemitismus und Antiamerikanismus und die Parallelen und Differenzen zwischen linken, rechten und islamistischen Varianten des Antizionismus thematisiert.
Olaf Kistenmacher (Hamburg) ist Historiker und schreibt unter anderem für jungle world und Phase 2.
Texte von Olaf Kistenmacher zu den Themen Antisemitismus und Antizionismus:
- Vom „Judenkapital“ zur „jüdisch-faschistischen Legion in Jerusalem“. Zur Entwicklung des „Antizionismus“ in der Kommunistischen Partei Deutschlands der Weimarer Republik, 1925-1933
- »Antizionismus« und antisemitische Verschwörungstheorien in der politischen Linken
- “Der ‘neue Antisemitismus’ ist nicht neu!” Interview mit Olaf Kistenmacher in der 16vor
Das Tagesseminar wird organisiert von associazione delle talpe in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Initiative Bremen. Anmeldung bitte unter talpe@gmx.net